A Woman of Impact
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Dass sich aus dem Chorgesang deutscher Einwanderer in Chile das südlichste Opernhaus der Welt und daraus die „Creative City Frutillar“ entwickelt hat, ist Nicola Schiess und ihrer Familie zu verdanken. Sie setzte auf den positiven „Social Impact“ von Kultur und Bildung und leitete damit eine modellhafte Entwicklung ein.
Aufschwung aus dem Geist der Musik
„Ich liebe Abenteuer!“, erzählt Nicola Schiess. Schon als 11-Jährige überquerte sie mit ihrem Vater Guillermo Schiess, charismatischer Unternehmer und Einwanderer aus Deutschland, die Anden und reiste ein Jahr später in die Antarktis mit. Als besonders abenteuerlich erwies sich allerdings „seine letzte Vision, die ich dann verwirklicht habe“ – der Bau eines Opernhauses in Frutillar, einer mittelgroßen Stadt im Süden Chiles.
Frutillar, in traumhaft schöner Natur am riesigen Lago Llanquihue gelegen, ist eine Gründung deutscher Einwanderer, die sich 1856 in Patagonien niederließen. Sie nahmen ihre musikalische Tradition aus Europa mit, aus der sich Jahrzehnte später ein 10-tägiges Chortreffen und dann später das Sommerfestival „Semanas Musicales“ entwickelte. Doch fehlte es immer wieder an geeigneten Aufführungsorten. Als dann ein am Seeufer gelegenes Hotel abbrannte, überzeugte Guillermo Schiess die Stadtgemeinde, den Grund für den Bau zu stiften – das Abenteuer Teatro del Lago nahm Fahrt auf.
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Nicola Schiess, vielfach ausgezeichnete Kulturmanagerin, Unternehmerin, Social Entrepreneurin und Regionalentwicklerin, lebt in Frutillar und Salzburg.
Nachhaltige Entwicklung
„Man ist immer nur Teil einer Staffel. Es ist extrem wichtig, dass es gut weitergeht.“, so Schiess.
Global Venue am Rande Patagoniens
Nicola Schiess, die eine breite internationale Ausbildung genossen hat, hatte auch die nötige Expertise für das Projekt: Als Kulturmanagerin für die Wiener Philharmoniker brachte sie ihre Liebe zur Musik in das Opernhausprojekt mit ein – und als unternehmerischer Geist die Fähigkeit mit vielen helfenden Händen Finanzierung und Bau voranzutreiben. „Immer wieder haben wir den Hut herumgereicht, um weitermachen zu können!“. Zwölf Jahre hat es bis zur Eröffnung gebraucht, 2010 war es dann soweit – das südlichste Konzert- und Opernhaus der Welt wurde als „Obra Bicentenaria de Chile“ eröffnet. Seither hat es sich zu einem weltweit bekannten Kulturzentrum entwickelt, in dem internationale Künstler wie Yo-Yo Ma, Valery Gergiev, Diana Damrau oder Chick Corea auftreten. Das Teatro del Lago ist zu einem „Global Venue“ geworden: Jedes Jahr besuchen mehr als 400.000 Event- und Musikfreunde das Theater, das auch als weltweites Tagungszentrum dient.
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Das Teatro del Lago in Frutillar ist internationales Opernhaus, Ausbildungsstätte und Kulturzentrum mit enormer Wirkung.
Die größere Vision: Kultur als Entwicklungsfaktor
Doch Nicola Schiess verwirklichte mit dem Teatro del Lago auch ihre eigene, größere Vision. Sie setzte auf das Potenzial der Kultur für Bildung, Gesellschaft und wirtschaftliche Entwicklung. „Von Anfang an haben wir dem Projekt einen Bildungsauftrag mitgegeben“, erzählt die frühere Vorsitzende und nunmehrige Ambassador der Stiftung, welche das Theater heute mit einem Team von rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreibt. In der dazugehörigen „Schule der Künste“ haben 15 Jahre lang mehr als 7.000 Absolvent:innen Ausbildungen in Chorgesang, Tanz, Ballett und Musik erhalten, daraus entwickelte sich – unter der Anleitung der Stiftung – ein Ökosystem an Musik-, Chor- und Balletschulen. Weitere 250.000 Kinder und Jugendliche nahmen an Schulprogrammen teil und 3.000 Musiker:innen an Meisterkursen und Akademien, die von namhaften Künstler:innen abgehalten werden. Die Nachfrage nach guten Ausbildungschancen ist groß. „Wir sind zu einem Kulturzentrum im breitesten Sinne geworden“, erklärt die mehrfache Gründerin von Initiativen.
Denn darüber hinaus rief Nicola Schiess die Kopernikus-Schule ins Leben. Die Privatschule mit vielen Elementen aus der Reformpädagogik legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Bildung kreativer Fähigkeiten und demokratischer Lernmethoden. In einem angeschlossenen Lab wird die Fortbildung von Lehr- und Führungskräften in „Soft Skills“ erprobt: „Wir sind zwar klein und fein, aber wohl mit die innovativste Schule im Land!“
Der Plan, Kultur als Motor für Entwicklung einzusetzen, trug vielfach Früchte: Jeder chilenische Peso, der im Teatro für Kultur und Bildung ausgegeben wird, kommt fünf- bis sechsfach als zusätzliche Wertschöpfung zurück. 2017 wurde Frutillar aufgrund seiner kulturellen Stärke von der UNESCO zu einer „Creative City of Music“ erhoben, was der Entwicklung in der Region weiteren Schub gegeben hat. 2025 wurde mit der CAF Entwicklungsbank für Amerika und die Karibik ein langfristiges Agreement unterzeichnet. Die Bevölkerung in Stadt und Umland wächst. Das für Südamerika einzigartige kulturell-wirtschaftliche Ökosystem zieht zudem besondere Talente an, viele von ihnen Entrepreneurs. „Es ist eine enorm reichhaltige Start-up-Szene der kreativen Industrie entstanden. Jeder hat ein Projekt am Laufen. In Chile kann man ja an einem Tag eine Firma gründen“, schildert Nicola Schiess die entstandene Dynamik.
Menschen bewegen und bewegt werden
„Es bewegt mich einfach, wenn ich andere bewegen kann!“, sagt Nicola Schiess.
Upscaling und Nachhaltigkeit stehen auf der Agenda
In weiteren Schritten (Wild Patagonia Chile, Patagonia Colab) wird nun vertieft, was als „Orange Economy“ bezeichnet wird – ein zukunftsfähiges Netzwerk aus Kultur, Wissen, Fähigkeiten und Wirtschaft, das Innovationen und Wachstum entstehen lässt. Für Nicola Schiess, die sich nicht nur als Unternehmerin, sondern auch als „Social Entrepreneur“ versteht, geht es nun darum, nicht nur alle Bildungsprogramme des Teatro, sondern auch das territoriale Entwicklungs-Modell Frutillar als Prototyp für andere Regionen verfügbar zu machen. „Upscaling“ ist angesagt. Ihre Initiativen sollen sich verstetigen und weitergeführt werden. „Alle Bildungsprogramme wie die kreative Lehrerausbildung, die sozial-künstlerischen Programme für Kinder- und Jugendliche, aber auch Opern- und Musical-Produktionen mit Schulen, die Meisterkurse und Akademien können mit globalen Partnern multipliziert werden“.
Das Opernhaus selbst soll sich ab 2027 wirtschaftlich selbst tragen. „Das ist extrem wichtig, dass es nachhaltig weitergeht!“ Denn man sei immer nur Teil einer Staffel, erklärt die in Frutillar und Salzburg lebende Entrepreneurin, seit 2024 auch Honorarkonsulin Chiles in Salzburg. Vielfach wurde Nicola Schiess für ihre Arbeit ausgezeichnet, immer wieder findet man sie in der Liste der „100 Leading Women in Business and Society“. 2015 wurde sie in Chile als „Woman of Impact“ („Mujer Impacta“) mit einem Preis gewürdigt. Eine Frau mit nachhaltiger Wirkung für ein ganzes Land: „Es bewegt mich einfach, wenn ich andere bewegen kann!“.